Georg Tscholl: Mit dem neuen Motto – «kunscht o?» – haben Sie den Vogel abgeschossen! Alle reden davon, und es kommt sehr gut an bei den Leuten; wo lernt man so etwas? Kommt das von Ihnen?
Martin Walch: Wir wollen uns ja nicht mit fremden Federn schmücken. Nein, das neue Motto stammt nicht von uns. Unser Kommunikationsberater Louis Vogt (adman.li) hat uns im Rahmen einer umfassenden Werbestrategie der Kunstschule nicht nur ein griffiges Kommunikationskonzept vorgelegt, er hat uns auch gut beraten. Zudem kreierte er den freundlichen, einladenden Slogan «kunscht o?». Es gelang ihm, unsere im Zusammenhang mit der Kunstschule geäusserten anspruchsvollen Zielsetzungen und Visionen in ein einfaches, allen verständliches Dialekt-Wortspiel zu verpacken.
Sie haben um die 300 Studierende und 25 Lehrende – Was braucht es, um einen solchen «Laden» zusammenzuhalten?
Laut der neuen Unternehmensstrategie versteht sich die Kunstschule als ein offenes Haus. Wir sehen sie als Kompetenzzentrum für Innovation, Design und Kunst, das sich noch stärker in der Region verankern will. Als Drehscheibe, Plattform, Labor oder Experimentierfeld für Kunst und Kultur greifen wir brennende Themen und Fragen unserer Zeit auf. Unserer Meinung nach kann dies nur mit einem starken, vertrauten Team gelingen. Wir setzen aufqualifizierte Lehrende mit visionärem Denken. Gemeinsam wollen wir am selben Strick ziehen. Das bedeutet, dass sämtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, im besten Falle aber auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unseres Unterrichtsangebots sich bewusst sind, dass sie mit ihrer wertvollen Arbeit an der Kunstschule nicht nur ihre persönlichen Handfertigkeiten und Kompetenzen optimieren, sondern auch die Schule an sich formen, weiterentwickeln und prägen. Um also «den Laden» zusammenzuhalten und ihn als eine am Puls der Zeit situierte Lernfabrik zu verorten, arbeiten wir unter anderem an einer konstruktiven Vertrauensbasis untereinander. Die zurzeit 35 Teammitglieder sollen Gelegenheiten erhalten, sich untereinander auszutauschen, um dabei die unterschiedlichen Funktionen ihrer Kolleginnen und Kollegen an der Schule kennenzulernen. Da die meisten von ihnen nicht regelmässig und aufgrund ihres Anstellungsverhältnisses vielfach nur selten an der Schule tätig sind, ist ein entsprechend kontinuierlicher Austausch zu Schulfragen, Schulentwicklung und -alltag besonders wichtig. Aus wertschätzendem Dialog gedeihen neue überzeugende Ideen, die uns unserem gesteckten Ziel Schritt für Schritt näherbringen.
In einer Presseaussendung haben Sie kürzlich geschrieben, dass die Beschäftigung mit Kunst so etwas wie ein Korrektiv sein kann, Antstatt Beschleunigung. Lehren Sie Reagieren, Auf- oder Abfangen? Wäre Angriff nicht die bessere Verteidigung?
Die regelmässige Beschäftigung mit Gestaltung und Kunst optimiert handwerkliche Fertigkeiten und Kompetenzen, die neben persönlicher Ausgeglichenheit und Befriedigung nach und nach auch die persönliche Ausdrucksfähigkeit entwickelt. Ein kompetenter Umgang mit visueller Kommunikation, was Malen, Zeichnen, dreidimensionales Gestalten, Fotografie- und Mediengestaltung etc. beinhaltet, befähigt uns selbstverständlich auch, die visuellen Botschaften einer heutzutage immer mächtigeren Bilderflut zu lesen und kritisch zu durchleuchten, um schliesslich die Spreu vom Weizen trennen zu können und nicht kurzlebigen Moden oder zwiespältigen werbetechnischen Manipulationen zu verfallen. Ja, in diesem Sinne stellt eine kontinuierliche, aufbauende Auseinandersetzung mit Gestaltung und Kunst ein wichtiges Korrektiv dar, das uns nicht nur Reaktion, sondern auch eine fokussierte Aktion, mit Ihren Worten: «den Angriff» ermöglicht.
Im neuen Jahr bieten Sie einen Kurs an, der die Teilnehmer fit fürs Netz, die neuen Medien macht, «Design yourself». Inwiefern ist das digitale Leben noch analog erklärbar?
Unser Leben bleibt hoffentlich auch in ferner Zukunft analog! Gewiss prägt die mittlerweile unüberschaubare digitale Informationsf lut mit ihren grenzenlosen virtuellen Welten unser Leben immer massgeblicher. Insbesondere im Berufsalltag ist der Computer nicht mehr wegzudenken. Unsere Aufgabe besteht also darin, die jeweils positiven Nutzungsmöglichkeiten neben den ebenso zahlreichen Gefahren im Umgang mit digitalen Medien kennenzulernen und gezielt einsetzen beziehungsweise anwenden zu lernen.
Wenn es nicht einfach Genies oder Streber gibt: Was bringe ich mit, damit ich an Ihrer Schule Kunst lerne?
Neugier, Lust und Experimentierfreude. Doch: Ohne Fleiss kein Preis! Ein möglicher Mangel an Talent kann zumindest teilweise durch Ausdauer, also regelmässige Übung wettgemacht werden. Allgemein gilt für den Anfänger wie für den Fortgeschrittenen, den Laien wie auch für den Profi, dass tägliches Üben unsere Fähigkeiten erhält und weiterentwickelt, aber selbstverständlich auch Neugier, Lust und Experimentierfreude fördert.
Und wann ist Kunst Kunst?
Kunst ist ein menschliches Kulturprodukt, das Ergebnis eines kreativen Prozesses. Das Kunstwerk steht meist am Ende dieses Prozesses, kann aber seit der Moderne auch der Prozess selbst sein. Eine qualifizierte Beurteilung, wann Kunst Kunst ist, wird durch gezielte Sensibilisierung von Kopf, Herz und Hand erleichtert. Also durch eine konsequente Schulung unserer Wahrnehmung. Wie bereits erwähnt, braucht es aufbauende und regelmässige praktische Betätigung, die, gepaart mit geistiger Auseinandersetzung, mit Kunst- und Kulturgeschichte, am besten anhand von Originalen gelingt. Hierdurch entwickelt sich eine konstruktiv-kritische Denkfähigkeit, die uns den Zugang zu Kunst und deren Qualifizierung erleichtert.
Ist denn Liechtenstein ein gutes Pflaster für Künstler, die Kunst? Wo müsste noch Zement angerührt werden?
Liechtenstein, situiert im Herzen Europas, hat bereits aufgrund seiner geografischen Lage gute Karten. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben zahlreiche Faktoren dazu geführt, dass innerhalb kürzester Zeit das vorwiegend landwirtschaftlich genutzte Land sich zu einer vorstädtischen Agglomeration verdichtet, verbunden mit einem wirtschaftlichen und materiellen Aufschwung und Wohlstand. Diese rasante Entwicklung übertünchte die ursprünglich ausgeprägte bäuerliche Kultur des Landes und führte auf allen Ebenen zu einem unübersichtlichen Mix aus kulturellen Essenzen. Im Bereich der bildenden Kunst ist viel international bedeutende Kunst importiert worden. Im Zuge der Globalisierung führte das dazu, dass die Produktionsverfahren und -mittel übernommen und sich dadurch auch die Werke liechtensteinischer Kunstschaffender ebenso mannigfaltig und international präsentieren. Doch hat diese naheliegende Entwicklung leider nicht zu massgeblicher gesellschaftlicher Wertschätzung und Akzeptanz des hiesigen Kunstschaffens geführt. Liechtensteins bildende Kunst hat kaum Lobby, vielmehr sind es importierte kulturelle Produkte, die hierzulande referenziell für Liechtensteins Kultur- und Kunstschaffen stehen. Die Kunstschule setzt deshalb zusätzlich zum Unterrichtsangebot auch auf öffentliche Veranstaltungen zu verschiedensten regional interessanten, kulturpolitischen Themen. Damit bietet sie Kunstschaffenden und Kulturinteressierten eine Plattform zu aktivem (Gedanken-) Austausch an, der schliesslich gegenseitiges Verständnis aufbauen, Akzeptanz, Wertschätzung und Zusammenhalt fördern soll, um gemeinsam und konstruktiv die aktuellen Fragen und Probleme unserer Zeit anzupacken.